Keine Almosen sondern ein Recht

Marburg. Abgehängt und frustriert fühlten sich immer mehr Menschen. So berichteten ehrenamtliche Helfer über alltägliche Gespräche mit Menschen, die sich mehr und mehr von der Gesellschaft abgekapselt fühlen. Weil sie unter der Armutsgrenze leben oder drohen, darunter zu rutschen. Wobei diese Grenze nur schwer zu definieren ist, wie Bernd Gökeler (Multiple-Sklerose Selbsthilfegruppe Marburg-Biedenkopf) feststellte. Gökeler und ein Team des Bündnisses „Umfairteilen“ hat in den vergangenen Monaten trotzdem den Versuch unternommen, „der Armut ein Gesicht zu geben“ und den Armutsbericht „Unfassbar – Armut unter uns“ erstellt.

„Armut ist bei Arbeitnehmern angekommen“

„Es ist nicht nur ein Gefühl, sondern wir sehen, dass in den vergangenen Jahren eine immer größere Gerechtigkeitslücke in Deutschland entstanden ist“, sagte Egon Vaupel, SPD-Oberbürgermeister und Gastgeber der Vorstellung der 32-seitigen Broschüre im Historischen Saal des Marburger Rathauses. Und diese Entwicklung sei stark durch politische Entwicklungen beeinflusst worden, sagte nicht nur Vaupel. „Diese Schere von Arm und Reich ist nicht vom Himmel gefallen. Es hat eine riesige Umverteilung stattgefunden“, sagte Dr. Ulf Immelt (DGB Region Mittelhessen).

„Die Armut ist bei den Arbeitnehmern angekommen“, sagte Manfred Günther (St. Elisabeth-Verein Marburg). Und das auch in der Region. 24670 Beschäftigte im Landkreis arbeiten nach einer Studie des Pestel-Instituts Hannover für einen Stundenlohn unter 8,50 Euro. 2500 Menschen müssen in Marburg-Biedenkopf ihr Gehalt aufstocken lassen. Die Zahl der Rentner, die in Marburg auf Grundsicherung angewiesen sind, ist von 2005 bis 2011 um 51 Prozent gestiegen.

Bündnis fordert Umverteilung

Dies sind nur einige Beispiele aus der Broschüre, die die Situation vor Ort nicht nur durch harte Zahlen auf den Punkt bringt. Beispiele von Betroffenen machen zudem deutlich, dass sich Armut nicht alleine auf ein bezifferbares Einkommen beschränkt. „Nicht Statistiken oder Definitionen erschließen uns die Größenordnung und Wirkung von Armut, sondern erst die Betrachtung der alltäglichen Lebenswirklichkeit von Menschen, die in Armut leben müssen, macht sie für uns fassbar“, so Gökeler.

Das Bündnis fordert deshalb unter anderem eine Umverteilung durch höhere Steuern für Reiche, die Einführung einer Vermögenssteuer und die konsequente Bekämpfung der Steuerflucht. „Nach dem 22. September werden wir mit den dann gewählten Politikern in die Diskussion treten, wie die Armut in Deutschland beseitigt werden soll“, sagte Iris Demel (Paritätischer Wohlfahrtsverband Hessen) über die nächsten Schritte des Bündnisses.

von Andreas Arlt (aus der Oberhessischen Presse)


Broschüre „Unfassbar – Armut unter uns“ (PDF)

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